”Hatte ich nicht auf andere Weise gelitten, gemäß dem freudschen Schema eine Melancholie, die aus einer nichtverwundenen Trauer über die ausgeschlagenen Möglichkeiten und abgewiesenen Identifikationen entsteht? Sie überleben im Ich als ein konstitutives Element. Das, wovon man losgerissen wurde oder sich losreißen wollte, bleibt ein Bauteil dessen, was man ist. Vielleicht leistet die Soziologie mit ihrem Vokabular eine bessere Beschreibung dessen, was die Psychoanalyse mit den einfachen, aber letztlich irreführenden Metaphern der “Trauer” und “Melancholie” evoziert: Die Spuren dessen, was man in der Kindheit gewesen ist, wie man sozialisiert wurde, wirken im Erwachsenenalter fort, selbst wenn Lebensumstände nun ganz andere sind und man glaubt, mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben. Deshalb bedeutet die Rückkehr in ein Herkunftsmilieu, aus dem man hervor- und von dem man fortgegangen ist, immer auch eine Umkehr, eine Rückbesinnung, ein Wiedersehen mit einem ebenso konservierten wie negierten Selbst. Es tritt dann etwas ins Bewusstsein, wovon man sich gerne befreit geglaubt hätte, das aber unverkennbar die eigene Persönlichkeit strukturiert: das Unbehagen, zwei verschiedenen Welten anzugehören, die schier unvereinbar weit auseinanderliegen und doch in allem was ist koexistieren. Eine Melancholie, die aus einem “gespaltenen Habitus” erwächst, um diesen schönen und kraftvollen Begriff Bourdieus aufzugreifen.”
© 2009 Didier Eribon, Rückkehr nach Reims.