Revolution

“Die Anrufung der Revolution, über deren Details man nie nachzudenken brauchte, war eine Art Mythos gegen den Mythos, eine Form der verbalen Notwehr gegen böswillige Kräfte (Rechte, Reiche, Mächtige), die alles zu kontrollieren schienen und deren dunkle Macht man hinter jedem Unheil vermutete, das sich im Leben der «kleinen Leute», «der Leute wie wir» ereignete.”

© 2009 Didier Eribon, Rückkehr nach Reims.

Linkssein

“Links zu sein, sagt Gilles Deleuze in seinem Abécédaire, das heiße eine Horizontwahrnehmung zu haben (die Welt als ganze zu sehen, die Probleme der Dritten Welt wichtiger zu finden als die des eigenen Viertels). Nicht links zu sein hingegen bedeute, die Wahrnehmung auf das eigene Land, auf die eigene Straße zu verengen.
Seine Definition ist der Art wie meine Eltern links waren, diametral entgegengesetzt. Für Arbeiter und Leute aus armen Verhältnissen bestand das Linkssein vor allem darin, ganz pragmatisch das abzulehnen, worunter man im Alltag litt. Es ging um Protest, nicht um ein von globalen Perspektiven inspiriertes politisches Projekt.”

© 2009 Didier Eribon, Rückkehr nach Reims.

Weltbezug

“Der Schlüssel zu seinem Sein: wo und wann er geboren wurde. Ein Segment des sozialen Raums und der historischen Zeit entschied darüber, welchen Platz er in der Welt einnehmen, wie er die Welt entdecken und welchen Weltbezug er aufbauen konnte.”

© 2009 Didier Eribon, Rückkehr nach Reims.

Hass

”Ich könnte mir denken, einer der Gründe, warum Menschen so hartnäckig an ihrem Hass festhalten, ist, dass sie spüren, sie müssen sich mit dem Schmerz auseinandersetzen, wenn der Hass erst einmal verschwunden ist.”

© James Baldwin 1963, Aufzeichnungen eines Eingeborenen in 2009 Didier Eribon, Rückkehr nach Reims.

Fremd

“Dieses verstörende Gefühl, an einem Ort zugleich zu Hause und fremd zu sein.”

© 2009 Didier Eribon, Rückkehr nach Reims.

Gespaltener Habitus

”Hatte ich nicht auf andere Weise gelitten, gemäß dem freudschen Schema eine Melancholie, die aus einer nichtverwundenen Trauer über die ausgeschlagenen Möglichkeiten und abgewiesenen Identifikationen entsteht? Sie überleben im Ich als ein konstitutives Element. Das, wovon man losgerissen wurde oder sich losreißen wollte, bleibt ein Bauteil dessen, was man ist. Vielleicht leistet die Soziologie mit ihrem Vokabular eine bessere Beschreibung dessen, was die Psychoanalyse mit den einfachen, aber letztlich irreführenden Metaphern der “Trauer” und “Melancholie” evoziert: Die Spuren dessen, was man in der Kindheit gewesen ist, wie man sozialisiert wurde, wirken im Erwachsenenalter fort, selbst wenn Lebensumstände nun ganz andere sind und man glaubt, mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben. Deshalb bedeutet die Rückkehr in ein Herkunftsmilieu, aus dem man hervor- und von dem man fortgegangen ist, immer auch eine Umkehr, eine Rückbesinnung, ein Wiedersehen mit einem ebenso konservierten wie negierten Selbst. Es tritt dann etwas ins Bewusstsein, wovon man sich gerne befreit geglaubt hätte, das aber unverkennbar die eigene Persönlichkeit strukturiert: das Unbehagen, zwei verschiedenen Welten anzugehören, die schier unvereinbar weit auseinanderliegen und doch in allem was ist koexistieren. Eine Melancholie, die aus einem “gespaltenen Habitus” erwächst, um diesen schönen und kraftvollen Begriff Bourdieus aufzugreifen.”

© 2009 Didier Eribon, Rückkehr nach Reims.